Offener Brief an die Politik: über 1000 Fossilienforscher fordern eine Reformation der Paläontologie-Gesetzgebung in Deutschland

Die Arbeitsbedingungen für Fossilienforscher haben sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland massiv verschlechtert. Viele Bundesländer setzten vor rund 40 Jahren Denkmalschutzgesetze in Kraft, die das Sammeln von Fossilien ohne sachliche Gründe bis heute stark einschränken. Die Paläontologie (Lehre von den Zeugnissen der Erdgeschichte) wurde aus Unkenntnis in Gesetze einbezogen, die für die Archäologie (kulturelle Entwicklung der Menschheit) konzipiert wurden. Eine ca. 200 Jahre alte Forschungs- und Sammeltradition wurde restriktiven Strukturen unterworfen, was ihre Fortführung gegenwärtig stark behindert. Es ist höchste Zeit, den ungehinderten legalen Zugang zu den geologischen Aufschlüssen des Landes wieder zu ermöglichen, denn nur so kann sich Deutschland zu einem Spitzenstandort paläontologischer Forschung im 21. Jahrhundert entwickeln und die Bevölkerung wieder Erdgeschichte zum Anfassen erleben. Um das zu erreichen, wenden sich über 1000 Universitätsprofessoren, Mitarbeiter der geowissenschaftlichen Institute Deutschlands, Direktoren und Kustoden von Naturkundemuseen, Geologen und Amateurpaläontologen dieser Tage mit einem Weckruf an die Bundes- und Landespolitik.

Die Forscher möchten außerhalb der Betriebszeiten Steinbrüche, Tongruben und Baustellen aufsuchen, um dort an Fossilien „zu retten, was zu retten ist“. Tagtäglich werden in Deutschland Millionen von Fossilien unentdeckt zusammen mit ihrem Umgebungsgestein zu Baustoffen verarbeitet. Trotz der widrigen Bedingungen gelangen noch immer bemerkenswerte Entdeckungen der Urzeitforscher in Museen, führen zu Artikeln in wissenschaftlichen Fachzeitschriften und positiven Nachrichten in der Tagespresse. Die Zahl der Amateurpaläontologen hat sich jedoch in den letzten 40 Jahren angesichts des immer schlechteren Zugangs zur Ressource schon mehr als halbiert. „Der Großteil unserer Sammlungsbestände in den Geowissenschaften ist auf das Engagement von Privatpersonen, Sammlern und Ehrenamtlichen zurückzuführen.“, betont Dr. Isolde Wrazidlo, Direktorin des Naturkunde-Museums Bielefeld. Amateurpaläontologen sollten aufgrund ihrer traditionellen Schlüsselrolle bei Entdeckungen künftig als Citizen Scientists gefördert und nicht mehr gebremst werden.

Die Bergbauindustrie ist ein wichtiger Förderer und Partner der Paläontologie. Und dennoch, immer mehr Firmen weisen Anfragen nach Betretungserlaubnissen zur Fossiliensuche unter Verweis auf Bedenken hinsichtlich der Haftung bei möglichen Unfällen ab. Die Forscher wünschen sich daher von der Politik, dass diese Rechtssicherheit für die Firmen schafft. Während Haftungsfragen im Bergrecht zu klären sind, müsste auch die Frage nach dem Eigentumsrecht an Fossilien, die bisher gesetzlich nicht geregelt ist, dringend im Bürgerlichen Gesetzbuch sinnvoll gelöst werden. Die Unterzeichner des Briefs empfehlen der Politik eine Orientierung am Beispiel Dänemarks, das seit 30 Jahren über eine unter Fachleuten weltweit als vorbildlich anerkannte Gesetzgebung für Fossilien verfügt (Danekrae). Das Gesetz führte dort zu einer Entfesselung der paläontologischen Wissenschaft. Neuentdeckungen werden in Kopenhagen gemeldet, bewertet und später wissenschaftlich bearbeitet. Die Finder erhalten angemessene Belohnungen.

„Ein großer Wurf ist nur durch eine eigene Paläontologie-Gesetzgebung in Deutschland möglich. Wenn die Politik uns überhört und nicht handelt, trägt sie eine Mitschuld am Verlust des paläontologischen Naturerbes. Die Missstände sind benannt und die Verbesserungsmöglichkeiten aufgezeigt. Der Ball liegt nun im Spielfeld der Politik.“, sagt Sönke Simonsen, Autor des offenen Briefs und Betreiber der mit zirka 6000 Mitgliedern größten deutschsprachigen Internet-Community rund ums Thema Fossilien.

Da Nordrhein-Westfalen anlässlich des 40-jährigen Bestehens des Denkmalschutzgesetzes in diesem Jahr ohnehin das betreffende Gesetz reformiert, richtet sich die Aufmerksamkeit der Forscher in besonderem Maße auf NRW. Im zuständigen Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung des Landes Nordrhein-Westfalen liegt der offene Brief bereits der Fachabteilung vor. Nordrhein-Westfalen hat somit die Chance dazu, als erstes Bundesland eine Gesetzgebung zur Stärkung der paläontologischen Forschung zu erarbeiten. In Kürze werden auch das nordrheinwestfälische Wissenschaftsministerium, das Bundeswissenschaftsministerium und die Kultusministerkonferenz Post von den Paläontologen erhalten.

Im Hinblick auf globale Herausforderungen wie den Klimawandel und den rapiden Biodiversitätsverlust können geowissenschaftliche Forschungen sowie auch einzelne Fossilfunde erheblich dazu beitragen, die umwälzenden Veränderungen im Erdsystem zu erklären. Paläontologische Forschung ist hierdurch aktueller und wichtiger denn je.

PRESSEMELDUNG der Fossilien-Community Steinkern.de

 

 

Anmerkungen  der VFMG:

  • viele VFMG-Mitglieder sind unserem Aufruf gefolgt und haben die Petition unterzeichnet – herzlichen Dank dafür.
  • Im Internet sind alle relevanten Dokumente einzusehen.

Das könnte dich auch interessieren …